"Peanuts"? - Annalena Baerbock - Foto: Imago

Grüne Moral: Gierschlund & Raffke

„Wir müssen“ uns einen bescheideneren Lebensstil angewöhnen. Aufs Auto verzichten. Weniger Fleisch essen. Weniger Flugreisen unternehmen und insgesamt mit weniger auszukommen lernen. Das „müssen wir“. „Wir brauchen“ mehr Nachhaltigkeit, mehr Rassengerechtigkeit, mehr Geschlechtergerechtigkeit, mehr Umweltgerechtigkeit. „Wir dürfen nicht“ so leben, wie uns das gemäß wäre. Außer „wir“ wären alle Grüne. Dann würden „wir“ sowieso immer nur „ihr“ meinen, wenn „wir“ „wir“ sagen. Des Baerbocks neue Kleider.

von Max Erdinger

Grüne wissen immer ganz genau, was andere Leute zu tun und zu lassen haben. Weil sie das so genau wissen, können sie auch ständig warnen, fordern und zeichensetzen. Parlamentarier der anderen Parteien haben Nebeinkünfte? Da muß höchste Transparenz her! Grüne Parlamentarier haben Nebeneinkünfte? Da muß die Transparenz erst dann her, wenn es für die Intransparenten gefährlich werden könnte. So kann es kommen, daß der grünen Canceler:innenkandidierenden Baerbock auf einmal siedheiß ein paar -zigtausend Euro einfallen, Nebeneinkünfte, die sie der Bundestagsverwaltung bisher nicht gemeldet hatte, obwohl das schon längst hätte passieren müssen. Und weil es der Kandidierenden für das Bundescanceleramt siedheiß einfällt, fällt es dann auch dem nächsten Grünen siedheiß ein. Cem Özdemir hätte da auch noch etwas nachzumelden, erfährt der perlexe Medienkonsument. Und- holla!- auch Gesundheitsexperte Lauterbach hat sein Gedächtnis diesbezüglich wiedergefunden.

Nun seien Sie doch nicht so pingelig. Wenn man sowieso schon gestopft ist, kann es durchaus vorkommen, daß man ein paar läppische -Zigtausenderchen übersieht, die man viel früher bei der Bundestagsverwaltung hätte angeben müssen. Was freilich niemals vorkommen kann, das ist, daß man als gestopfter Grünparlamentarier übersieht, sich einen Corona-Bonus einzustecken. Daß es dabei nur um 1.500 Euro geht, bedeutet Entwarnung. Soll heißen: Prinzipiell vergißt der Grüne selbst die vergleichsweise kleinen Beträge nicht. Das Symptom der liebenswert-grünen Schusseligkeit scheint ganz klar an der Frage zu hängen, ob es sich bei Beträgen egal welcher Größenordnung um Einkünfte oder um Ausgaben handelt. „Hach, die Scheinchen unter meiner Matratze hatte ich glatt übersehen. Ich bin aber auch ein Schussel!“, sagt da der Grüne und schlägt sich mit der flachen Hand an die Ökologistenstirn.

Der Mensch, sogar der grüne Mensch, kann an sich arbeiten. Er kann sich bessern. Das wird er auch ganz bestimmt tun, so daß er zukünftig mit derselben Gewissenhaftigkeit, mit welcher er seine Einkünfte kontrolliert, ebenfalls kontrollieren wird, welcher Einrichtung er noch Auskünfte über drei transparente Euro fünfzig schuldig ist.

Anton Hofreiter, die unbestrittene Beauty-Queen der Grünen – ihrer glänzenden, blonden Haarpracht wegen von Lästermäulern gern auch „Rapunzel“ oder „Dreiwettertaft“ genannt -, hatte in ihrer bezaubernden Schusseligkeit jahrelang vergessen, Steuern für ihre Zweitwohnung in Berlin zu entrichten. Das kam bereits im Jahr 2014 heraus. Seither hat die fotogene Schönheit an sich gearbeitet und sich gebessert. Jedenfalls in diesem einen Punkte. Da muß man sich freuen für ihr Seelenheil und nicht auch noch daran herummäkeln, daß ihr eben wegen dieser Besserung entfallen ist, wie sehr das, was sie klasse findet, bei seiner Umsetzung davon abhängt, ob es mit dem Grundgesetz kompatibel ist. Sie hatte sich halt geirrt, als sie meinte, man müsse eben das Grundgesetz ändern, wenn es mit der Forderung nach einer Frauenquote in deutschen Parlamenten deswegen nicht kompatibel ist, weil deutsche Parlamente keine Ständeversammlungen sein sollen. Inzwischen dürfte die Beauty Queen aber auch in dieser Hinsicht gebessert haben, so daß sie heute ganz bestimmt der Ansicht ist, das Grundgesetz steche die Frauenquote für Parlamente, nicht umgekehrt. So ist es richtig. Der Hofreiter Toni ist heute wahrscheinlich schon ein vorbildlicher Staatsbürger. Da wird man sich gar keine Sorgen mehr machen müssen. Weswegen man auch endlich aufhören sollte, Blondinenwitze über ihn zu erzählen.

Gnadenlos: Don Alphonso

In der deutschen Presselandschaft sind aber nicht alle von einer solchen Vergebungsbereitschaft, von so viel Zuversicht und Menschenliebe getragen, wie meinereiner. Ein richtig Gnadenloser ist Don Alphonso in der „Welt„. Daß sich die grüne Canceler:innenkandidierende Baerbock auch noch 1.500 Euro Corona-Bonus genehmigt hat, nennt Don Alphonso „unverzeihlich“. Grausame Welt. Noch grausamer ist, daß selbst den Gütigsten drückende Zweifel an der Berechtigung seiner Menschenliebe zur grünen Canceler:in in spe befallen, wenn er liest, wie Don Alphonso begründet, warum unverzeihlich sein soll, was er für unverzeihlich hält. Der Gnadenlose wird doch nicht am Ende noch rechthaben?

Jedenfalls schreibt er: „Hochstapelei bei der Doktorarbeit, Weihnachtsgratifikation trotz Multikulti, vergessene Transparenz – viele Fehlgriffe von Frau Baerbock kann man bürgerlich vergeben. Aber das Einstreichen des Corona-Bonus ist gesellschaftlich inakzeptabel.„- oh, oh – inakzeptabel? Da kommt bestimmt noch was nach. Und pfeilgerade versetzt sich Don Alphonso in die Lage der Cancelerinnen:kandidierenden Baerbock, um darüber nachzusinnen, was er selbst an ihrer Stelle vortragen würde, wäre er derjenige, der sich die 1.500 Euro Corona-Bonus genehmigt hatte. Herumschleimen würde er, sagt Don Alphonso. Zu Kreuze kriechen, sozusagen. Schade, daß Don Alphonso nur Don Alphonso ist – und nicht Cancelerkandidat. Die Herzen einer Millionenschar von Wählern … Wähler:innen und Wählenden würden ihm nur so zufliegen. Denn Don Alphonso wäre eindeutig der bessere Baerbock, wie er hier eindrücklich unter Beweis stellt. Er würde nämlich sagen: „Der Corona-Bonus war ein schrecklicher Fehler. Das tut mir wirklich weh, weil es meine eigene Unzulänglichkeit gezeigt hat. Das hätte nie passieren dürfen. Ich muss daraus lernen. Es geht einfach nicht, dass ich als Parteichefin über die Parteifinanzen mit entscheide und mir selbst so etwas bewillige. Gut, wir hatten wirklich ein hartes Jahr, an vier Tagen ging meine Jura-Espressomaschine nicht, und die seelische Grausamkeit beim von der Seuche erzwungenen Verzicht auf den ÖPNV hat mich tief getroffen – wie gerne hätte ich mich unter das bunte Berliner Volk gemischt! Sicher, ich habe das entsprechende Dokument auch abgesegnet, aber ich mache so viel, ich habe da gar nicht weiter drüber nachgedacht, das war wirklich instinktlos … aber ich lerne. Ich mache es besser und fange sofort damit an, indem ich 15.000 Euro für ein Projekt der Betreuung besonders von der Seuche Betroffener spende. Ich habe verstanden, dass der Bonus wichtig ist – aber nur für andere, die nicht so privilegiert sind wie ich. Deren Not will ich, sollten wir alle gemeinsam Hand in Hand lindern. Hier ist die Quittung. Und ich schwöre, ich werde sie auch nicht benutzen, um meine Steuerlast zu drücken. Ich zünde nachher damit meine Biopellets aus Costa Rica an.“ – So gehen Anstand und Honorigkeit. Don Alphonso sollte wenigstens Baerbocks PR-Berater werden, wenn er schon nicht selbst Canceler werden will.

Aber dann fällt Don Alphonso doch wieder ein, daß er eben nicht Parteipolitiker ist, sondern Blogger und Journalist. Sofort regiert wieder die journalistische Gnadenlosigkeit sein Gemüt. Das kann man daran erkennen: „… die 1500 Euro Bonus wegen Corona waren für die schlecht bezahlte Krankenschwester gedacht, für den Paketboten, für den Wirt, der zusperren musste und bei einem Caterer jobbt. Für die Leute, die die Infrastruktur am Laufen gehalten haben. Nicht für so jemand wie mich, obwohl ich auch so einen Schrieb habe, dass ich Teil der kritischen Infrastruktur dieses Landes bin und ich deshalb meine Haut jenseits der Regeln für Sterbliche riskieren darf: Ich habe finanziell nicht gelitten, mir geht es prima, ich habe mich nicht hervorgetan. Ich habe mich nur um die Meinigen gekümmert, wie man das halt so macht. Ich bin kein Held, das sind andere. Die Müllabfuhr, die nicht weiß, welche verseuchten Masken ihnen entgegenfallen. Die Leute in den Wasserwerken und die Polizei. Die Stützen der Gesellschaft. – na ja, „verseuchte Masken“- geschenkt. Er mußte eben für Baerbock denken – und die Kategorien in denen sie denkt, sind ja wirklich die Seuche in ihrer relativen Irrelevanz hinsichtlich der Gesamtheit jenes Planeten, den Baerbock ganz unbedingt retten will. Vor dem Klimawandel, dem Sexismus, dem Rassismus, dem Chauvinismus und wahrscheinlich überhaupt vor der Gattung Mensch. Als grüner Übermensch kann man das schon alles wollen, sogar wenn irrelevant ist, was man will.

Don Alphonso ziert sich zunächst ein wenig, damit herauszurücken, wie man in Bayern nennt, wenn sich jemand, der es wirklich nicht bräuchte, auch noch aus der Kasse für die Mühseligen und Beladenen bedient, indem er sich und den Seinen 1.500 Euro Corona-Bonus zukommen läßt: „Der fetten Sau den Arsch schmieren.“ – und das ist wirklich gnadenlos. „Die Grünen haben 2019 fast 60 Millionen als Partei bekommen, davon 24 Millionen vom Staat: Der Bürger ist beim Bonus für die rundum voll versorgte Frau Baerbock mit 600 Euro dabei, wie auch bei Herrn Habeck und angeblich bei den anderen in der Geschäftsstelle. Diese 1500 Euro waren einzig und allein dafür gedacht, denen Danke zu sagen, denen sonst keiner dankt oder ein Bundesverdienstkreuz umhängt.“ – es sieht nicht gut aus mit Don Alphonsos Vergebungsbereitschaft. Und weil Don Alphonso, wie meinereiner auch, den „besseren Kreisen“ entstammt, sind wir uns im folgenden Punkte einig: „Denn die besseren Kreise achten auch auf solche Kleinigkeiten und wissen, dass das Fehlverhalten bei 1500 Euro Schlimmes erwarten lässt, wenn es demnächst um größere Profite und Privilegien gehen sollte.

Wie sagte doch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt? – „Natürlich kann man die innere Sicherheit den Grünen anvertrauen. Nur: Dann ist sie halt weg, die innere Sicherheit.“ Das schreit förmlich nach einer Analogiebildung, die „wir“ nun – Baerbocks Lieblingswort: „gemeinsam“ – vornehmen wollen: „Natürlich kann man Geld für die Bedürftigen den Grünen anvertrauen. Nur …“ – und jetzt rufen wir alle gemeinsam: “ … dann ist es halt weg, das Geld!“

Hieß es vor einigen Tagen noch, die Grünen lägen in der Wählergunst nur noch knapp vor der Union, so liest sich das heute schon so: Laschet liegt vor Baerbock. Und die Canceler:innenkandidierende der Grünen hat noch vier volle Monate bis zur Bundestagswahl vor sich, die sie nutzen kann, um die Wähler:innen und Wählenden davon zu überzeugen, daß Laschet das kleinere Übel wäre. Oder hat der sich ebenfalls einen Corona-Bonus auszahlen lassen?

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